3. Januar 1918, Donnerstag Morgen, Brandberg-Gipfel oberhalb Lager II (13)
Eine erbärmlich kalte Nacht liegt hinter uns. Das
Thermometer sank auf 7 ° Celsius und wir hatten keine Möglichkeit uns zu
erwärmen. Immer wieder stand einer von uns auf, um im Dunkeln nach einer Hand
voll Reisig oder Buschmannkerzen (Sarcocaulon) zu suchen, da wir jämmerlich
froren. In dieser Nacht schlossen wir die Augen nur wenig, sondern starrten
mehr in die flimmernden Sterne oder in die nächtliche Bergwelt mit den
schweren, schwarzen Umrissen hinaus. Die Todeseinsamkeit der nächtlichen
Landschaft griff mit kalter Hand tief in unser Gemüt und ließ uns erschauern
vor der Einsamkeit des Weltalls. Wer kann sich denn überhaupt zur Nachtstunde
der großen Verlassenheit erwehren, wenn er hinaus lauscht in die
unbeschreibliche Stille der afrikanischen Welt, wo sie am ödesten und bar aller
Menschenwesen ist? Eine solche Nacht ohne rechten Feuerschutz oder ohne Decken
im Freien, in einer Höhe, die kein anderer Gipfel Südwestafrikas erreicht,
währt endlos lang. Erst als der erste kümmerliche Schein des kommenden Tages
grau, nüchtern und kalt die dunkelvioletten Umrisse der Landschaft erkennen
ließ, fühlten wir uns erlöst und konnten weiter umherstreifen und trockene
Reiser zusammentragen. Endlich war es möglich, wiederum ein wärmendes Feuer
anzufachen. Welch eine Seligkeit, so ein Feuer in aller Morgenfrühe, wenn
ringsum alles fröstelt in der nüchternen Klarheit eines kommenden Tages.
Verflogen ist das Gefühl der Verlassenheit wenn man in das knisternde Feuer
schaut und die Feuergeister anfangen zu plaudern.
Ich beginne schon um 5:30h mit dem Einmessen des
photografischen Rundpanoramas. Es ist erstaunlich, wie nahe im ersten
Morgenlicht die dunkelblauen Silhouetten von Erongo, Spitzkoppe und Uikale
erscheinen. Auch die Etendeka-Kette des Kaokofeldes zeichnet sich
unwahrscheinlich deutlich ab. Alle diese Höhen erheben sich über eine weißgraue
Dunst- oder Nebelschicht, die in der Tiefe weite Strecken der Landschaft
verdeckt. Da wir noch nicht photographieren können, wird nach der Einmessung
des Gebirgspanoramas im Schutze eines Felsblockes die Beobachtung mit dem
Dankelmannschen Hygrometer durchgeführt. Aus je drei Beobachtungen mit zwei
verschiedenen Thermometern (Nr. 710 und 741) ergiebt sich zwischen 6:30h und 6:55h ein wahrer Luftdruck von 562,1 mm für den Lagerplatz
Nr. III bei einer Anfangstemperatur von 11,1 ° C und einer Endtemperatur von
14,8 ° C. Der Caselle-Theroid zeigt gleichzeitig einen Luftdruck von 559,8 an,
sodaß sich eine Standkorrektion von + 2.3 mm ergibt.
Gegen 7 Uhr kommt die Sonne aus dem aufsteigenden Bodennebel
und wirft ihr Licht in köstlicher Orangefarbe über die aufleuchtenden Bergwelt.
als wir nochmals zum Hauptgipfel aufsteigen, zeigt dort das Barometer einen
Luftdruck von 556, 2 an, korrigiert = 558,5 mm bei 16 ° C. an.
Die Luft erwärmt sich nun sehr schnell. Um 7:15h sind
die restlichen Platten belichtet. Ich habe für das ganze Rundpanorama über das
Innere des Brandberges nur 8 Platten von 13 x 18 benötigt und hoffe nun, daß
ich sie gut nach Windhuk bringe.
Wir legen schließlich einen Zettel mit dem beobachteten
Luftdruck und unseren Unterschriften in eine leere Blechdose und bergen sie
unter einigen zusammengetragenen Steinen. Die mit dem Luftdruck notierte
Ablesung der Höhenskala von ca. 2700 m ist natürlich zu hoch. Ich wusste, daß
die maßgebende trigonometrische Rechnung zwischen 2606 und 2614 m ergeben
hatte. Da mir eine Barometertabelle mit Temperaturkorrektionen nicht zur Hand
ist, schätze ich die Werte der barometrischen Höhenstufe nach der Jordanschen
Formel, so weit sie mir im Gedächtnis ist, zwischen Ugab und dem Hauptgipfel
bei 20 ° C zu 12,5 +14,0:2 = 113,25 m. Dieser Wert mal Luftdruckunterschied
Ugab-Lager – Hauptgipfel = 719 – 556,2 mm direkte Ablesung ergibt: 162,8 x
13,25 = 2620 m. Das ist immerhin ein guter Näherungswert. Die genaue
barometrische Höhenzahl kann erst zu Hause berechnet werden.
Wer mag nun wohl der nächste Europäer sein, der diese
Blechbüchse mit dem Notizzettel unter den Steinen findet? Und wieviel Jahre
mögen darüber wohl vergehen ? Wir haben hier oben keinerlei Spuren der
Anwesenheit von Menschen gefunden. Im Innern des Brandberges, mit Ausnahme des
unteren Teiles der Tsisab-Schlucht, und besonders auf dem Hauptgipfel, waren
vor uns noch nie Europäer gewesen. Und ob die einsam schweifenden Bergdamara
wohl bis hier hinauf kommen? Der
Brandberg stellte früher eines der sehr schwer zugänglichen Rückzugsgebiete der
paläolithischen Kulturträger, wahrscheinlich der Buschmänner dar und wurde es
später für die umherschweifenden Bergdamarahorden. Das das heute noch der Fall
ist, beweisen die Menschenspur und das Grabwasser unten im Zweigtal der
Tsisabschlucht. Immerhin ist es erstaunlich, daß wir weder auf der ersten noch
auf der jetzigen Brandbergreise Eingeborene zu Gesicht bekommen haben. aber
trotz der einsamen Menschenspur und des Grabwassers kann man wohl sagen, daß
die Bergdamara heute nicht mehr in größeren Horden in den Brandbergschluchten
leben. Höchstens in einzelnen Familien. Die Westschluchten sind ja überhaupt nur nach einer guten
Regenzeit zugänglich. Immerhin kennen die Bergdamara jedes Wasserloch, die
Sammelplätze für Feldfrüchte und die Jagdmöglichkeiten und bringen es dadurch
fertig in dieser Felsenöde das primitive Dasein unabhängiger Naturmenschen zu
leben.
Wir plaudern ein wenig über die Natur und Erforschung des
Brandberges. Gries weiß über die Pflanzenwelt und über die Eingeborenen gut
Bescheid und Schulze hört gern zu. Soweit ich mich hier im Augenblick entsinnen
konnte, hatte als erster der Missionar Hugo Hahn im Jahre 1871 den Brandberg in
seinem Reisebericht erwähnt, als er ihn von Okombabe aus großer Ferne gesehen hatte.
Er hat auch die Lage des Brandberges auf seiner Karte verzeichnet. Aber der
Name Brandberg war damals immerhin schon bekannt. Wer hat ihn also überhaupt
zuerst entdeckt und benannt ? Darüber habe ich bisher in der mir zugänglichen
Literatur noch nichts feststellen können. Freiherr v. Steinäcker war
schließlich 1888 eine kurze Strecke am Brandberg entlang geritten und Gürich
hatte ein Jahr später sein Lager bei Kamatsarak aufgeschlagen. Gürich schätzte
damals die höchste Erhebung des Brandberges auf nur 500 m über der Ugab – eine
unerklärliche Fehleinschätzung. Immerhin aber hatte er als Einziger einen
interessanten kurzen Bericht über seine Eindrücke am Brandberg veröffentlicht,
aus dem hervorgeht, daß er mehrfach vergeblich versuchte, in die Schluchten des
Brandberges von Ugab her einzudringen.
Wir wissen aber insbesondere, daß al seiner der ersten
Weißen, die den Brandberg erreichten, der verdienstvolle Oberleutnat der
Schutztruppe, Hugo Jochmann in das Gebirgs-Massiv selbst eindrang. Er
beschränkte sich 1909 auf die Tsisab-Schlucht, wo er die berühmt gewordenen
ersten Felsmalereien fand, die wir nun inzwischen schon zweimal wieder
aufgesucht und zum Teil kopiert hatten. Vor dem Kriege hatte der
Feld-Vermessungstrupp des Oberleutnants Hausting längere Zeit in Sorris-Sorris
gelegen und von dort aus den Brandberg besucht, um den Hauptgipfel in das
trigonometrische Netz der Landesaufnahme einzumessen. Die Arbeit kam jedoch
nicht zum Abschluß und es war bei einem vorläufigen Vorwärtseinschneiden ohne
Signalisierung geblieben. In den Brandberg selbst war Hausting selbst nicht
eingedrungen. Einen weiteren flüchtigen Besuch stattete schließlich im Jahre
1912 der deutsche Geologe Hans Cloos dem Brandberg auf einem Ritt vom
Erongo-Gelingo aus statt. Er konnte sich jedoch nicht lange am Brandberg
aufhalten.
Schon früher war übrigens der Oberleutnant Kirchheim an der
Nordfront des Brandberges vorbeigezogen, als er im Jahre ... auf einer
Kamelpatrouille den Ugab erkundete. Das war alles, dessen ich mich hier im Augenblick
über die Erforschung des Brandberges entsinnen konnte.
Immerhin waren wir stolz darauf, jetzt den Weg für
nachkommende Forscher bis in das Zentrum des Gebirges eröffnet zu haben. Damit
brechen wir unsere Unterhaltung ab und nehmen den Rest des Wassers zu uns. Als
nächstes Ziel winkt uns ja das Grabwasser unten in der Schlucht.
3. Januar 1918, Donnerstag, Abends 8 Uhr, Nachtlager IV (14) Tsisab-Schlucht
Wir haben soeben den kümmerlichen Rest unserer Lebensmittel
verzehrt und stellen danach gegenseitig fest, daß wir uns im Brandberg ein
schweres körperliches Leiden zugezogen haben, ein Leiden, das der deutsche
Soldat im Kriege ganz allgemein als „Kohldampf“ bezeichnete. Im Anfangsstadium
zwingt dieses Leiden ganz allgemein den Menschen nur zu tiefen Meditationen und
Träumereien und das einfachste Stück Brot erscheint als so köstlicher Genuß,
daß man in Gedanken danach kaut. Ja, es fließt einem dabei sogar das Wasser im
Munde zusammen, sofern der Körper noch die nötige Flüssigkeit in sich hat. Und
das ist in Afrika wichtiger als Brot. Wer in Afrika einmal drei Tage hinter
einander gedurstet hat, wie es uns im Krieg in den Tagen des Gefechts bei
Kakamas erging, der weiß, das einem jeder Gedanke an die primitivsten oder auch
köstlichsten kulinarischen Genüsse vergeht, sobald die Gier nach Wasser das
Denken beherrscht, wenn der Mensch im Durst an der Grenze von Leben und Tod
dahintaumelt.
Schulze aber behauptete heute trocken, daß Kohldampf
„chronisch“ werden könne und dann die Menschen zu reißenden Bestien mache oder
zum Tode führe, was die Menschen dann ganz banal „verhungert“ nennen würden.
Als ich schüchtern auf das Ugab-Lager hinwies, schnitt er mir das Wort mit der
Frage ab, ob das denn hier in der Tsisab-Schlucht sei und wieviel Granitblöcke
wir bis dahin wohl noch zu überklettern hätten ? Darauf wußte ich keine
Antwort, denn ich hatte die Granitblöcke nicht gezählt. Es waren ihrer zu
viele. Aber das Wort Ugab-Lager ließ die Kameraden doch erst in ein tiefes
Nachdenken und dann in ein leises Zwiegespräch über die Kochkunst unseres
treuen Reisegefährten Koeppel versinken. Das war der beste Beweis, daß wir
nicht an einer Durstkrisis litten, trotz alles Dürstens !
Für mich aber beginnt nun wieder die Stunde, in der ich
niederzuschreiben habe, wie der Tag verlaufen ist und was er uns an Mühen und
Überraschungen bereitet hat. Ich opfere dieser Tätigkeit fast jeden Tag zwei
bis drei volle Stunden, verteilt auf die jeweiligen Rastplätze. Das sind immer
die Stunden der Besinnlichkeit. Aber man muß sich doch oft zwingen, da die
Müdigkeit oder auch Bequemlichkeit einem immer wieder einflüstert :“Warte doch
bis morgen, da stehlen wir uns mehr Ruhestunden“, oder „morgen früh bei
Tageslicht schreibt sichs besser als bei flackerndem Feuerschein; der zwingt ja
doch nur zum Träumen“ . Nur der Umstand, daß man absolut nichts mehr zu tun
hat, wenn man in einem Winkel zwischen Granitbrocken den Lagerplatz bezogen
hat, um irgendwie, so gut es geht, die endlosen Nachtstunden hinter sich zu
bringen, läßt einen immer wieder zum Notizbuch greifen.
Unsere Lebensmittel sind restlos verbraucht. Ein Rest
Schokolade, ein kleines Stückchen trocken Brot mit einem winzigen Rest von
Springbockfleisch, war alles, was wir teilen konnten. Jeder könnte, wenn es ihm
beliebte, die Portion nur mit der Taschenlupe vergrößern. Die Kameraden starren
ins Feuer. Wenn Menschen abends anfangen, nach anstrengendem Tag, in die Glut
des Feuers zu starren, dann werden sie von den Feuergeistern zu so tiefem
Nachdenken gezwungen, daß sie völlig geistesabwesend sind. Jeder denkt für
sich. Die Unterhaltung schläft dann bald ein. Wenn jemand wieder zur
Wirklichkeit des Augenblicks zurückfindet, dann wird vielleicht hin und wieder
eine Frage gestellt oder ein Wort hingeworfen; alles aber ganz belanglos und
unwichtig. Es ist nur, um zu betonen, daß man noch da ist.
Trotz gründlicher körperlicher Säuberung im Verlaufe des
Tages sehen wir nicht mehr sehr schön und würdig, eher der Umgebung sehr
angepaßt aus. Wir sind stoppelbärtig und unsere Kleider sind völlig zerfetzt
von dem Herumrutschen auf den Granitblöcken. Wie haben Schulze und ich heute
gelacht, als der würdige Professor Gries den ganzen Hosenboden im Brandberg
ließ und der schneeweiße Nordpol hell und unbefangen in die Bergwelt lugte!
Es war aber auch ein anstrengender Tag. Als wir vom
Brandberg-Gipfel niederstiegen, verloren wir nicht mehr viel Zeit mit
Beobachtungen. Schon um 10:30h waren wir am Grabwasser angelangt.
(Barom[eter] 647.5 – 24,8 ° C). Da wir im Gipfellager wegen Mangel an Wasser
unterlassen hatten, irgend etwas zu essen, war es notwendig, hier die
Mittagsrast einzulegen. Jeder bekam nur ein Stück Brot mit Fleisch. Dennoch
blieb für die Abendmahlzeit nicht viel mehr übrig als etwas Schokolade, ein
kleiner Rest Fleisch und soviel Brot, daß drei Menschen darum würfeln oder
hungern mussten. Bis 1Uhr (13 Uhr) wurde botanisiert,
gezeichnet und umhergestreift. Auch photographierte ich von der flachen
Talweite aus den Hauptgipfel mit Selbstauslöser, wobei ich als Maßstab für die
bizarre Form einer Cissus Cramerianus diente, dann brachen wir auf und
erschöpften unsere Kräfte in dem ständigen Auf und Ab an den Granitblöcken der
gewaltigen Schutthalden. Heute brannte die Sonne erbarmungslos auf das Gebirge
und die Luft flimmerte an den Felshängen. Die Schattentemperatur stieg noch am
Grabwasser bis 11 Uhr auf 26,6°C und Nachmittags auf 31 ° C, was
einer Strahlungswärme der Felsen von
mehr als 50°C entsprach. Die Scala des kleinen Schleuderthermometers, den ich
auf die Felsen gelegt hatte, reicht nicht weiter.
Aber der Tag brachte noch große Überraschungen für uns in
dieser allen Lebens baaren Oede mit grenzenloser Einsamkeit sonnenverbrannter
Felsen. Wir hatten unser zweites Nachtlager umgangen und blieben in der
Schluchtrinne. Gerade als wir um 3:30h die Einmündungsstelle in die
große Tsisab-Schlucht erreichten stießen wir plötzlich auf eine große Quelle
mit einem tiefen Sammelbecken. Das Quellbecken war vollkommen von Pflanzen
umwuchert. Tiefer unterhalb der Quelle, schon in der Tsisab-Schlucht, breitetet
sich ein größeres Wasserbecken von 7 bis 8 m Länge und 4 m Breite aus. Ringsum
war hell leuchtender Sand aufgeschüttet und Riedgras und andere Wasserpflanzen
umsäumten das Bassin.
Hier hatten wir zweifellos die bedeutendste und beständigste
Wasserstelle der Tsisabschlucht entdeckt.
Die größte Überraschung aber brachte uns eine Beobachtung
von Professor Gries, der unter den Pflanzen, die das Wasserbecken umsäumten das
europäische Sumpfvergißmeinnicht (Myosotis anagallis) feststellte. Es [nahm]
unter den Wasserpflanzen einen großen Platz ein. Das war wieder eine der
typischen Überraschungen Afrikas ! Was man am wenigsten erwartet, das findet
man! Man stelle sich einmal die Gesamtheit des Wüstenhaftigkeit und
Trostlosigkeit dieses Weltwinkels in der Sand- und Steinöde der Namib vor. Dazu
die Euphorbiensteppe und die karge Pflanzenwelt des Ugab-Tales und dann die
gigantische sonnverbrannte Gesteinswelt des Brandberges. Und im Herzen einer
solchen Durstlandschaft soll man Sumpfvergißmeinnicht erwarten, eingewandert
von der nördlichen Erdhälfte ? Hier in der Tsisab-Schlucht überwucherten sie
das Wasserbecken !
Hergetragen durch Zugvögel ? Wir finden das als mögliche
Erklärung. Aber wer kennt denn überhaupt die Geschichte dieser Landschaft ? Was
für Geheimnisse und Überraschungen mögen all die Schluchten dieses rätselhaften
Brandberges, wie ihn die weißen Menschen nennen, noch bergen, dieser Daunas der
Hottentotten und Omukuruvaro der Hereros ?
Uns bot jedenfalls das Bassin ein so erfrischendes und
köstliches Bad, wie wir es uns in der kühnsten Phantasie nicht geträumt und wie
wir es seit Windhuk nicht mehr gehabt hatten. Es erinnerte an die Wasserwunder
der Tsisab-Schlucht im März 1917, als wir schon im großen Bassin der unteren
Schlucht schwimmen konnten. Nach dem Bad konnten wir wieder mit Selbstachtung
an uns herunterschauen. Wie wirkt so eine gründliche Säuberung und Erfrischung
doch belebend auf das Gemüt, besonders wenn man sich drei Nächte lang auf
Felsschutt, Sand und Dornen in zerfetzten Kleidern herumgewälzt hatte und sich
einredete, man habe dort eigentlich ein fabelhaftes Nachtlager gefunden.
Während ich mich unschuldig und knabenhaft im Wasser tummelte, wollten meine
Kameraden mich heimtückisch knipsen. Aber ich konnte mich rechtzeitig hinter Riedgras
in Sicherheit bringen, sodaß das erzielte Bild salonfähig blieb. Aber dem
Wasserbassin zuliebe wurde dadurch meine letzte Photoplatte im Brandberg
geopfert.
Um 4 Uhr verließen wir den unvergeßlichen
Erfrischungsplatz. Das Barometer zeigte 662.5 mm bei 28 ° C. Wir marschierten,
kletterten, rutschten und sprangen ununterbrochen 3 ½ Stunden bis wir um 7:30h die Ausweitung zur Jochmann-Grotte erreichten. Dort verkrochen wir uns
hungrig zwischen die Granitblöcke, die uns nun für die letzte Nacht im
Brandberg Herberge bieten
Die Kameraden sind während meiner Schreiberei eingeschlafen.
Jeder hat seine Seite am Feuer. Hier haben wir wieder reichlich trockenes Holz
und prachtvoll wärmende Glut, die aber immer nur einer Körperseite zugute
kommt. Es ist nun um die Stunde, da das leise Wanderlied des Südwest-Windes
zwischen den Felsen mit schwermütigen Seufzern verklingt. Die große Einsamkeit
kriecht wieder mit starren, toten Augen heran und nimmt von allen Winkeln der
nächtlichen Bergwelt Besitz. Einmal trete ich einen Augenblick abseits des
Feuers in die Dunkelheit hinaus. Dort drüben am Hang liegen die Felsblöcke der
Jochmanngrotte mit den seltsamen Felsmalereien unter denen auch ein Symbol des
Todes dargestellt ist, der das Leben frisst und nur Skelette zurück lässt.
Seltsame, feine Symbolik und Weisheit primitiver Kunst. Wesen barg einmal diese
öde Felsenschlucht, die sich auch zu dem Geschlecht bekannten, das aus dem
Dunkel ins Helle strebte. Nun haben Tod und Vernichtung alles gefressen und nur
Skelette und Fragmente zurückgelassen, wie der paläolithische Künstler das an
den Granitfelsen gemalt.
Ein Schauer erfasst mich ob der Verlassenheit und ich berge
mich wieder im wärmenden, tröstlichen Kreise des Feuers.
4. Januar 1918, Freitag, 9 Uhr Vormittag, vor einer Grotte mit Felsmalereien an einem großen Granitblock in der Tsisab-Schlucht.
Ich sitze im Schatten eines Granitblockes in der
Tsisab-Schlucht. Die Schritte meiner Kameraden verklingen zwischen den Felsen.
Ich kann mich noch nicht entschließen, den Platz zu verlassen. Eine köstliche
Feierstunde ist über mich gekommen. Ich blicke auf. Helles Sonnenlicht bricht
sich an rosafarbenen Felsen und zaubert kobaltfarbene Schatten hinter
Felsblöcke, in Kluftspalten und Erosionsrinnen. Jede Einzelheit ist klar gezeichnet.
Die zarten grauen Flecke, die die durchsichtigen Schatten und rosafarbenen
Felswände gleichförmig überziehen, sind die einzigen sichtbaren Anzeichen
wachen Lebens in dieser Welt, starrer Felsblöcke, der Gruß einer unendlich
kümmerlichen Vegetation. Zwischen den Felsblöcken der Schluchtsohle stehen
ebenfalls hier und da einige Dornbüsche und halbtrockene, wilde Feigenbäume
(Ficus damarensis) mit [... ?] oder dunkelgrünem
Blätterdach, darin der Wind ein leises Leid singt. Die Todeseinsamkeit und das
erhabene Schweigen der Bergwelt mildern ihre drückende Last unter dem zarten
Singen des Windes. Es ist, als lauschte alles der Kunde aus einer fernen,
schönen Welt, oder auch einer Sage aus versunkenen Zeiten, als der Mensch aus
dem Nebel der Schöpfungstage ins helle Licht wachen Daseins trat und von den
unendlichen Weiten der Erde zwischen Gletscherkälte und Wüstenglut Besitz nahm.
Ja, es ist eine gesegnete Feierstunde mit der ich allein sein muß, um zu
erfahren, wie der Geist der Menschen aus dem Dunkel ins Helle strebte und wie
es möglich war, daß er in unseren Tagen wiederum begann in grauenvolles Dunkel
zu versinken, ersäuft durch Ströme von Blut und Hass und die Not des Alltages.
Unsere Zeit hat keine überschüssige Lebenskraft mehr für Kulturstreben mit Stil,
sie erschöpft sich in der Sorge um das nackte Dasein. Die frühesten Menschen
aber hatten überschüssige Lebenskraft und sie hatten darum Kultur und Stil;
Wenngleich diese tausendmal primitiver war an materiellen Güter, gegenüber dem
Maschinenfluch und Seelentod unserer modernen Zivilisation, so zeigte sie doch
das Streben zum Licht auf. Wir alle sind heute nur registrierte Nummern und
ohne Dokumente sind wir lebend tot im Ablauf des Daseins. Ich selbst mußte
unter falschem Namen, mit fremden Papieren reisen, um den Gotteshauch der
Freiheit zwischen diesen himmelstrebenden Felsen ringsum atmen zu können. Wenn
man hinaus lauscht in die Einsamkeit und Oede des Brandberges, dann kann man es
nicht fassen, das die Heimat immer noch in grausamem Waffengang um ihre
Existenz ringt. Wie fern liegt für uns schon der Gefechtslärm die Orlogstage
von Sandfontein, Garule, Kakamas, Trekkoppe und Otavifontein. Aber wie lebendig
sind noch die Tage der Flucht von Khorab, durch das Kaukauveld und die Omaheke
bis hierher.
Wir waren schon um 5:30h vom Lagerplatzaufgebrochen, Härte des Lagers, Frische des Morgens, sowie Hunger und Dursthatten uns bald auf die Beine gebracht. Wir hatten ja keinen Krümel mehr zu
essen und keinen Schluck mehr in den Feldflaschen. Schon am gestrigen Tage war
Schmalhans Küchenmeister bei uns gewesen. Aber da hatten wir die Leere des
Magens durch Schlemmen im Wasser infolge der glücklichen Funde ausgleichen
können. Der Gedanke an das Ugablager, an das uns erwartende Essen dort, mit
warmen Getränken, setzte uns in schnelle Bewegung. So kamen wir trotz der zu
überwindenden Granitblöcke bereits um 7:40h an die südliche
Abzweigung des trockenen Rivierbettes in der Tsisabschlucht, wo die jetzt
ausgetrocknete große Badwasserstelle der Tsisabschlucht lag. Da der
Schluchtausgang in einer guten Wegstunde erreicht werden konnte, bat ich die
Kameraden, einige Zeit mit mir zu verweilen, um einige typische Plätze nach
Felsmalereien abzusuchen.
Die Jochmanngrotte war auch von hier aus leicht zu
erreichen. Aber mich drängte es, neue Gebiete abzusuchen. Und hier, die
einsamen gestürzten oder unterhöhlten Granitblöcke stellten typische
Schlupfwinkel für paläolithische Menschen oder Buschleute dar.
Meine beiden Kameraden Gries und Schulz gaben ihre
Bemühungen jedoch bald auf. Da sie wenig Hoffnung auf neue Funde hegten und das
Ugab-Lager lockte, marschierten sie weiter in Richtung zum Ausgang der
Tsisab-Schlucht. Da wir keine Krume zu essen und keinen Topfen mehr zu trinken
hatten, war es für mich sehr verführerisch, den Kameraden zu folgen. Aber ein
unbestimmtes Gefühl hielt mich in Nähe eines großen Granitblockes fest, den wir
zu dritt schon einmal abgesucht hatten. So blieb ich allein hungrig und durstig
zurück und kroch weiter zwischen den Granitblöcken umher. Da fiel mein Blick
auf einen Block, der südöstlich der Erosionsrinne des Tsisab-Riviers gegen die
Rückseite eines anderen großen Granitblockes gestürzt war, derart, daß an der
Basis eine Lücke zum Hindurchkriechen sichtbar war. Die Südwestseite dieses
Blockes hatten wir ebenfalls schon vergebens abgesucht. Da ich Schatten suchte
und der Hoffnung war, doch noch eine Belohnung unserer Bemühungen zu erhalten
oder gar Wasser zu finden, kroch ich in die schattige Lücke der
zusammengestürzten Blöcke hinein.
Trotz aller Erwartung erfuhr ich eine so große Überraschung,
die mich in meiner Kriechbewegung erstarren ließ, als ich im Halbdunkel der
Grotte meine Augen umherschweifen ließ. Meine beglückten Augen schauten auf die
schönste Felsmalerei des paläolithischen Kulturkreises, die ich je in
Südwestafrika angetroffen hatte. Solch vielfarbig gemalte Menschen- und
Tierfiguren, und solch stilistische Vollendung hatte ich bisher weder bei der
Spitzkoppe noch im Erongo-Gebirge noch im Namalande angetroffen.
Ich kroch schnell zurück und sprang in langen Sätzen über
die Granitblöcke, um meine Kameraden noch zu erreichen, damit sie Teil hätten
an dem glücklichen Fund, meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich sah die
Kameraden schon weit unten in der Tsisab-Schlucht dem Ausgang zustreben, wo wir
die Flaschen mit Wasser verborgen hatten. Ich schrie und brüllte so laut ich
konnte. Aber die müden Kameraden reagierten nicht auf meine Rufe, die von der
Einsamkeit aufgesogen wurden, und strebten weiter dem Schluchtausgang zu. Da
zog ich den Browning und feuerte schnell einige Schüsse gegen die Felsen, sodaß
das Echo rollend an den Schluchtwänden widerhallte. Da, nach kurzem Augenblick,
stutzten sie und schauten sich um, neugierig zu erfahren, was es da für eine
Schießerei in der doch so menschenleeren Schlucht gäbe. Ich winkte mit dem
Taschentuch das Signal der Schutztruppe „Trab“ und sie kamen in einiger Eile
wieder schluchtaufwärts, da sie mich in einer Notlage glaubten. Ich kehrte zur
Grotte mit dem farbigen Freskogemälde der „Buschmann“-Steinzeit zurück. Als ich
Gries und Schulz über die Felsen klettern hörte und knirschende Schritte im
Sande vernahm, kroch ich in den Eingang der Grotte und rief die Gefährten
heran. Als sie neben mir in der Grotte saßen, brachen sie beim Anblick der Felsmalerei
in Rufe des Erstaunens aus. Beide bereuten nicht, sich der Mühsal des
Rückmarsches und verlängerten Durstes unterworfen zu haben und gaben sich
eifrig und nur an den Augenblick gebunden dem Studium der Malerei hin.
Ich aber kam mir armselig und verloren vor, als ich die
Einzelheiten des Frescobildes untersucht und mich nur im Besitz eines
Bleistiftes und meines Routen- und Notizbuches fand; kein Pauspapier, keine
Farbe und keine Farbpalette, ja nicht einmal ein Maßstab zum Ausmessen der
Figuren war zur Hand. Kein Mensch würde sich lediglich aus meiner Beschreibung
auch nur ungefähre Vorstellung des Bildes machen können. Hätte ich nur die
Pausleinwand mit den Figuren aus der Jochmannsgrotte bei mir, so könnte ich
wenigstens die Lücken mit einigen Hauptfiguren ausfüllen. Aber so lag das
Material aus der Jochmanngrotte wohlverpackt im Ochsenwagen. Ich war ganz
unglücklich darüber, auch nicht nur einigermaßen der bunten Mannigfaltigkeit
des Bildes durch eine Kopie gerecht werden zu können.
Ich beschloß daher nur die wundervolle Mittelgruppe und
einige besonders auffallende Einzelfiguren in mein Routenbuch zu skizzieren,
hierzu die Hauptfarben zu notieren, um später in Windhuk das Bild ungefähr zu
rekonstruieren, um eine Idee zu geben, welche Bedeutung dieser Malerei in der
Tsisab-Schlucht zukäme. Ich hatte keine andere Möglichkeit, um auf die
wundervolle Felsmalerei aufmerksam zu machen.
Es war bei unserem körperlichen Zustand auch unmöglich noch
einen halben Tag oder gar noch eine weitere Nacht ohne Nahrung und Wasser im
Brandberg zu verbringen. So begann ich denn emsig zu arbeiten, um eine
Kleinskizze des Gesamtbildes in mein Routenbuch zu zeichnen. Jedoch war die
Fülle des Bildes zu groß, um auf solche Weise bewältigt zu werden.
Vor allem war es unmöglich, die verschiedenen Übermalungen
zu skizzieren. Man konnte auf den ersten Blick mehrere Übermalungen
unterscheiden. Wie viele Schichten es in Wirklichkeit waren, mußte einem
späteren Studium überlassen bleiben. Drei Übermalungsschichten sprangen klar
ins Auge. Es war aber schwer, in der kurzen Zeit festzustellen, was
zusammengehörte. So können es auch viele Übermalungen aus verschiedenen
Generationen sein.
Die Hauptsache war jedenfalls die letzte bunte Tanzgruppe.
Im Mittelpunkt der Felsmalerei stand eine etwa 40 cm große Figur, die in 4
Farben gemalt war. Die Figur, mit hell-fleischfarbenem Gesicht, dunkelbraunem
Oberkörper und Armen, und wiederum fleischfarbenen Unterkörper und Händen
zeigte einen so auffallenden agyptisch-mediterranen Stil, daß man unwillkürlich
an agyptische Frescomalerei erinnert wurde. Dieser Stil wurde besonders durch
den eigenartigen Kopfschmuck in dunkel carminroter Farbe und weiß punktierten
Ornamenten, sowie durch die Körperhaltung der Figur betont. Die Ornamente
erinnerten an Perlenschnüre oder Moleka-Ketten, wie sie auch heute der
Buschmann noch mittels fein geschliffener Ringe aus Straußeierschalen
herstellt. Die Hauptfigur hielt in der nach rückwärts gestreckten Hand einen
weißen Bogen mit weißen Pfeilen und trug in der Hand des nach vorn aufwärts
gekrümmten rechten Armes seltsames Kelch- oder zepterartiges Symbol in weißer
Farbe. Hierzu kamen weitere weiße Schnur- oder Perl-Ornamente auf roten Bändern
an Beinen und Armen, sowie quer über die Brust. Die Andeutung einer weiblichen
Brust war bei der Hauptfigur nicht festzustellen.
Zwei dunkel gemalte Menschenfiguren, ebenfalls mit roten
Bänder und weißen Perlornamenten geschmückt, finden sich in rhythmischer
Bewegungsstellung vor der Hauptfigur. Von diesen beiden Figuren ist eine durch
Darstellung der Brust deutlich als Frau gekennzeichnet. Eine schlankere, große
Figur mit seitlich ausgestreckten Armen, einen Stab gegen die Hauptfigur
haltend, tanzt hinter der Gruppe einher. Zu
den fremdartigsten Gestalten der Felsmalerei gehört eine Insektenfigur
in menschlicher Bewegungsart dargestellt, mit affenartigem Kopf, dünnem
Oberkörper mit Flügel und Insektenbeinen.
Insgesamt zählte ich 5 hellfarbige Menschenfiguren, die
deutlich rassisch anders dargestellt sind, als die sonst üblichen dunkelbraunen
oder roten Silhouetten der „Buschmann-Malereien“. Besondere Aufmerksamkeit
wecken noch drei hellfarbige Fabelgestalten bzw. Tiermasken, von denen eine
innerhalb der linken bzw. vordersten Tanzgruppe an Darstellungen erinnert, wie
sie Heinrich Barth aus der Sahara veröffentlicht hat. Auch diese Figuren
erinnern an ägyptischen Tiermasken oder Tiermenschen. Der ägyptisch-mediterrane
Stileinschlag bei allen Hauptfiguren ist überraschend.
Zum erstenmal wird mir in diesem Augenblick der Wanderweg
der paläolithischen Jäger und Künstler von Südeuropa über Nord- und Ostafrika
bis nach Südafrika als letztem Rückzugsgebiet klar. Ich nehme mir vor, diesem
Wanderzug gründlich nachzuforschen. Die Träger der paläolithischen Kunst von La
Vezere und Altamira sind identisch mit den Urhebern der sogenannten
Buschmannsmalereien. In den Grotten und Höhlen Südafrikas haben die
paläolitischen Jäger und Künstler und die Altquartäre-Kultur die Zeit
überdauert und waren unbemerkt bis in geschichtliche Zeit noch lebendig. Der ägyptisch-mediterrane Einschlag dieser
neu entdeckten Brandberg-Felsmalereien da vor mir eröffnet ganz neue
Perspektiven hinsichtlich der Erforschung der Felsenbildkunst Südafrikas und
der paläolitischen Kunst im allgemeinen. Das Bild vor mir legt zwingend den
Gedanken nahe, daß die Felsenbildkünstler des Brandberges mit dem
ägyptisch-mediterranen Kulturkreis in lebhafte Berührung gekommen sind. Ich
erinnere mich dunkel der Schilderungen von Kämpfen der Ägypter mit den
Troglodyten in einem Buch des Schriftstellers Herodians. Ich muß das in Windhuk
wieder nachlesen. Dann aber ist die Felsenbildkunst des Brandberges sehr alt
und viele Felsbilder mögen auf ein Alter von 4000 bis 5000 Jahren
zurückblicken. Was für Perspektiven eröffnen sich da der Forschung!
Von den Tieren des Bildes ist hauptsächlich die
Onyx-Antilope in zinnoberroter mit weißer Farbe dargestellt. Eine Herde dieser
Tiere wird durch die fünffache Wiederholung der gleichen Tierfigur in denselben
Farben angedeutet. Die größte Orseyfigur in zinnoberrot mit weiß ist deutlich
als Tiermaske gekennzeichnet, wie sie auch die Buschmänner auf Jagd benutzen.
Das geht klar aus der Darstellung der Hinterbeine hervor. Schließlich lenken
noch eine dunkelrote Elantantilope mit schwarzem Hals und Kopfschild, sowie ein
rot gestreiftes Zebra und ein schwarz-gestreiftes Gnu die Aufmerksamkeit auf
sich.
Zu den schönsten und lebensvollsten Tierbildern, die ich je
auf Felsenbildern angetroffen habe, gehören zwei kleine ca. 7 cm große
Steinböcke in carminroter Farbe mit weißer Brust. Ein Tier davon ist in der
seltene Frontstellung, das andere im
Seitenprofil mit lebhaft lauschender Kopfhaltung dargestellt. Im oberen Teil
des Bildes beleben schließlich drei kleine Koboldgestalten die Gruppe.
Unbedingt aber dominiert die farbige Menschengruppe in der Gesamtheit des
Bildes. Das ist in großen Zügen der Eindruck den ich nach dem Betrachten und
Skizzieren der Hauptfiguren von der neu entdeckten Felsmalerei der
Tsisab-Schlucht erhalten habe. Seltsamerweise fehlt die sonst so beliebte
Haupt-Tierfigur der Felsmalerei Südwestafrikas, die Giraffe, die in der
Etembahöhle des Erongogebirges so vollendet farbig dargestellt ist, auf dem
vorliegenden Felsbild vollkommen. Alle Giraffendarstellungen des Brandberges
die mir bisher aus der Tsisab- und Annis-Schlucht bekannt geworden sind, fallen
durch ihre primitive und dekadente Wiedergabe auf.
Wieviel wäre nun noch zu notieren und zu skizzieren. Aber
die Zeit drängt und Hunger und Durst mahnen zum Aufbruch. Dem Grottenboden
selbst will ich bei meinem nächsten Besuch sorgfältige Aufmerksamkeit schenken.
Wir lassen alles unberührt, so wie ich es vorfand, als ich durch die Öffnung
kroch. Aber schon der äußere Anschein zeigt, daß auch diese Grotte, wie so
viele andere, die durch Felsmalereien geschmückt sind, später durch Bergdamara
benutzt wurden.
Bei meinem nächsten Besuch des Brandberges muß besonders
viel Zeit zum Kopieren von Felsmalereien vorgesehen werden und reichlich
Zeichenmaterial und Fotoplatten zur Verfügung stehen.
Meine Kameraden sind nun schon über eine Stunde fort.
Sicherlich haben sie die Tsisabschlucht bereits verlassen. Ich selbst will noch
einmal die Grotte gründlich betrachten und dann aufbrechen.
Jetzt fallen wieder Stille und Weltabgeschiedenheit
erdrückend über mich einsamen Menschen her. Selten habe ich mich hilfloser
gefühlt als jetzt, da ich das schönste paläolothische Felsbild das ich in
Südwestafrika fand, mit so primitivem Material und einfachen Notizen verlassen
muß.
Die Sonne brennt prall und gleißend auf die Felswände. Es
ist 10.30h als ich zum Abschied in die Grotte krieche, um noch
einmal einer Geschichte um agyptischer Meerfahrt und den Wanderzügen der
paläolithischen Jäger von Südfrankreich bis zum Kaokofeld zu lauschen.
4. Januar 1918, Freitag Nachmittag, Ugab-Lager (10) – Uis –
Endlich einmal wieder richtig geschlafen, wenn es auch nur
drei Stunden im Schatten unseres Ochsenwagens waren. Es war ein heißer Tag
heute. Jetzt zeigt das Thermometer noch 22,8 ° C und das Barometer mit 719 mm
den gleichen Stand, wie am Tage unseres Abmarsches. Es liegen einige Cirrus und
Cirrus-Stratus Schleier im Zenit (Bln. 1). Dagegen weht ein sturmartiger
Nordwestwind mit Stärke 9, der uns durch sein Sandtreiben aufgeweckt hat. Das
Haarhygrometer gibt nur 37,5 % relative Feuchtigkeit an.
Nun haben wir mit Hilfe der Zeltbahnen einen guten Platz im
Windschutz des Wagens hergerichtet und fühlen uns sehr geborgen. Aber es
besteht gar keine Hoffnung auf einen so sehnlichst erwarteten Regen. Um 10:40h war ich von meiner Felsenbild-Grotte aufgebrochen und erreichte den Ausgang
der Tsisab-Schlucht und den Platz, wo wir die Flaschen mit Wasser geborgen
hatten, um 12:15h. Meine Kameraden hatten ihre
Flaschen mitgenommen, aber meine mit Wasser gefüllte Flasche treu und redlich
wieder im Schatten geborgen. Kein Eingeborener hatte inzwischen den Platz
berührt. Ich schüttete des trübwarme Wasser durstig hinunter, ohne irgend einen
Gedanken an die lustige Vermehrung der Coli- oder anderen Bazillen in der
Flasche während der warmen Tage zu verschwenden. Das Wasser ist mir gut
bekommen und stärkte mich für den Marsch im heißen Sand bis zum Ugab Lager, das
ich um 1:50h p.m. erreichte. Gries und Schulz hatten
sich gerade an einen prachtvoll gebratenen Springbockrücken gestärkt, den
Koeppel mit allen Künsten zubereitet hatte. Ich stürzte mich ebenfalls hungrig
auf das warme Essen und lag um 3Uhr in tiefem Schlaf, genau wie die
anderen Kameraden. Ein unendlicher Frieden breitete sich über unserem Lager
aus, bis die ersten Windstöße einsetzten. Da wurden wir alle wach und richteten
einen geschützten Platz her.
Die beiden Hottentotten sind mit den Ochsen am Wasser und
werden jeden Augenblick zurück erwartet. Jetzt geht das gegenseitige Erzählen
los. Koeppel hat tüchtig botanisiert und sonst geruhsame Tage verbracht, die er
auch mit der Zubereitung des letzten Orxfleisches und der beiden von Schulze
erlegten Springböcke ausgefüllt hatte.
Unser Hauptgesprächsthema ist die neu entdeckte Felsmalerei
in der Tsisab-Schlucht, die durch ihren ägyptisch-mediterranen Stil so neue
Perspektiven über die Herkunft der Buschmannskunst eröffnet. Ich kann nun
wenigstens an Hand meiner Skizzen im Routenbuch für Koeppel doch eine
Anschauung vermitteln. Fast wird durch das Gespräch um die Felsmalerei die
Tatsache der geglückten ersten Besteigung des Brandberg-Hauptgipfels in den
Hintergrund gedrängt. Aber wir sind doch
alle mächtig stolz auf Leistung und Erfolge der letzten fünft Tage. Trotzdem
wir kaum richtig ausgeruht sind, vereinbaren Georg Schulze und ich den notwendigen
Marsch Ugab abwärts bis zur Wasserstelle Riet für den morgigen Tag, um von dort
ein photogrammetrisches Profil der Nordfront des Brandberges zu erlangen. Das
ist für die Konstruktion der Brandberg-Karte, die Hofmann in Swakopmund in
Arbeit hat, ebenso wichtig, wie das Rundpanorama vom Brandberg-Gipfel.
Gries ist seiner alten Gewohnheit gefolgt und hat sich etwas
abseits gelegt und singt aus einem Liederbuch in den Sturm hinaus. Koeppel
hantiert in seiner stillen und rücksichtsvollen Weise mit Küchengeschirr und
Proviant, um alles vor Sturm und Sand und nächtlichen Tieren in Sicherheit zu
bergen. Schulze reinigt sein Mauser-Gewehr für den morgigen Tag. Meine
Militärgewehr Nr. 13, das ich am Mobilmachungstag in Windhuk erhielt und das
seitdem mein Begleiter nicht nur während des Krieges, sondern auch seit der
Flucht aus der Kriegsgefangenschaft bis hier her geblieben ist, bleibt wohl
verborgen im Ochsenwagen, da es mich bei meiner morgigen Arbeit mit dem Kompass
behindert.
Jetzt hört man die Hottentotten im Ugab die Ochsen
herantreiben. Das Rufen der Treiber und das Brüllen der Ochsen hin und wieder
bei dem heißen Wind und aufgewirbeltem Staub lassen eine echt südafrikanische
Stunde auf großem Treck lebendig werden. Ich bin zufrieden, daß es heute nicht
viel zu notieren gibt. Nun freue ich mich auf die Plauderstunde am Feuer und
den guten Schlaf unter schützenden Decken im weichen Ugab Sand. Endlich eine Nacht ohne die harte
Granitunterlage.
Die Ochsen sind in einem kleinen Dornkraal zusammengetrieben
und beginnen behaglich zu kauen.
Wie der Wind surrt und der Sand rieselt. Seltsames Lied, das
die Deflationsarbeit der Natur begleitet. Weit hinter in der nachtdämmernden
Landschaft beginnt das schaurige Konzert der Schakale. So wie die Nacht kommt,
merkt man, daß man nicht allein ist in dieser wüstenhaften Oede.
Geheimnisvolles Leben regt sich vorsichtig und zaghaft oder hastig, fern und
nah. Afrika erwacht !
Professor Gries zitiert Freiligraths Verse :
"Abends wenn die Feuer glühn im Hottentottenkraale,
Wenn des Tafelberges bunte wechselnde Signale
nicht mehr glänzen
Wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karú
Wenn im Busch die Antilope schimmert und am Strom das Gnu
Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste dieGiraffe
daß an der Lagune trübe Fluten sie die heiße, schlaffe
Zunge kühle ..."
Wir diskutieren darüber, was Freiligrath wohl mit den "des Tafelberges bunte, wechselnde Signale" gemeint hat und kommen zu dem Schluss,
daß das wechselnde Farbenglühen der afrikanischen Berge von Orange bis Purpurrot
bis Sonnenuntergang diese Zeilen veranlasst hat.
Der Duft von Koeppels Springbockkeule steigt verführerisch
und anregend in unsere Nasen, das Feuer prasselt im Wind, der hohl und dumpf
hoch oben durch den Raum surrt und ein eigentümliches Klagen zwischen den
Aesten der Bäume ringsum beginnt. Das Klappern der Teller mahnt, das Schreiben
zu beenden. Ein behagliches Gefühl der Geborgenheit nimmt von uns Besitz. Nach
fünf Tagen klettern in Sonnenglut bei zugemessener Wassermenge und kalten
Nächten auf hartem Felsen in zerfetzten Kleidern, welch köstliche Stunde jetzt
trotz Wind und Sand.
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